Loslassen

musste er, der Baum vor meinem Haus,
loslassen
seine ganze Schönheit, seine ganze Fülle,
wie jedes Jahr zu dieser Zeit.
Es zulassen,
dass der Wind in seinen Ästen tobt,
seine Blätter davonträgt in all’ ihrer Farbenpracht,
mitten aus dem Leben gerissen;
zulassen musst er es,
leer dazustehn,
nackt und unbekleidet,
im Innersten getroffen,
zutiefst verletzt.

So steh’ auch ich vor meinem Gott.
Hab’ nichts in Händen,
hab’ nichts zu bieten,
hab’ loslassen müssen schon manches Schöne:
mein Kind und Freunde,
Haus, Dörfer und Städte,
manch’ enge Gemeinschaft, in der ich lebte;
viele Ideale und mancherlei Träume,
die Arbeitsstätte, die sicher schien;
Kraft, Energie, die robuste Gesundheit
und fast sogar mein eigenes Leben.

So hab’ ich manch’ Winter überstanden
Du hast mir den Frühling stets neu geschenkt

Von neuem durfte ich Blätter treiben,
erst zart und grün,
später kräftiger,
durft’ mich erholen,
gabst mir Dein Licht zum Gedeihen.
Hast mich den Winter spüren lassen
zum Loslassen üben,
zum Lernen,
mich ganz auf Dich zu verlassen.

So will ich am Baum mir ein Beispiel nehmen:
Nach jedem Tod schenkst Du neues Leben,
lässt mich im Winter den Frühling ahnen,
machst durch die Erfahrung mich ruhig
und sicher
und voller Vertrauen in Deine Kraft.

"eingesandt von Heidi Ortwig"

Themen in diesem Beitrag:

Trauer
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