Das traurige Christkind

Kinder, ich habe das Christkind gesehn.
Ich hörte es weinen und jämmerlich flehn.
Es saß an der Straße – man sah, dass es litt –
und keiner hielt an und nahm Christkindlein mit.
Doch weil ich im Grunde ein Gentleman bin
begab ich mich hurtig zum Straßenrand hin.
Christkind erstrahlte, in goldenem Licht.
Wenn ich’s euch sage, es war ein Gedicht.

Christkind erzählte – ich lauschte gebannt –
und hielt seine kleine und zitternde Hand.
Was Christkind erlebte war traurig genug,
im himmlischen Schlitten bei stürmischem Flug.

Die Fahrt begann ruhig, wie immer bequem.
In all diesen Jahren gab’s nie ein Problem.
Sie fühlten sich prima und festlich gestimmt.
Es duftete herrlich nach Tanne und Zimt.

So glitten sie zügig und sicher voran,
bis Mitte der Reise das Unheil begann.
Es schneite unendlich, wie niemals zuvor.
Der Weg war noch weit bis zum weltlichen Tor.

Der Wind wurde stärker, das Atmen fiel schwer.
Sie sahen schon lange die Sterne nicht mehr.
Schneeflocken tanzten und stürmten im Kreis.
Und überall spürten sie Kälte und Eis.

Nikolaus stand wie ein Fels in der Gischt,
allein seine Tiere, sie hörten ihn nicht.
Kaum auf der Erde – man konnte nichts sehn –
blieben sie jählings mit Vollbremsung stehn.

Mitten im tosenden Weihnachtsorkan
standen die Tiere fast quer auf der Bahn.
Pakete und Päckchen, dem Himmel sei Dank,
lagen verschnürt auf der hinteren Bank.

Nur Christkind fiel runter, verlassen vom Glück.
Es blieb in der klirrenden Kälte zurück.
Der Schlitten fuhr weiter im eisigen Wind
und niemand bemerkte das fehlende Kind.

So kam es, dass Christkind am Straßenrand saß
und nichts als sein Hemd und die Schuhe besaß.
Das Christkind fand langsam ein wenig zur Ruh.
Ich band ihm behutsam die schneeweißen Schuh.

"Gerhard P. Steil"

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