Das Lindenblatt

Das schönste Blatt auf einer Linde bewegte sich kokett im Winde.
Es saß auf einem zarten Ast und wurde‘ dem Baum niemals zur Last.

Es schaute stolz auf dichte Blätter, auf Schwestern, Brüder – "grüne Vetter".

Das war im Sommer ein Vergnügen, es konnt‘ sich in der Sonne wiegen.

Doch leider merkte ES auch bald: Es pfiff der Wind, es wurde kalt.
Das Blatt – es fror – fing an zu nuscheln, dieweil die Brüder, Schwestern kuscheln.

ES sah dann auch mit großem Schrecken, sie alle kriegten gelbe Flecken
Und als sie wurden braun und bunter, da fielen sie vom Baum herunter.
Das Lindenblatt fühlt sich allein, stand nur noch schwach auf seinem Bein.
ES wisperte, fing an, zu lallen: "Ich möchte nicht zur Erde fallen.
Dort werd‘ ich trocken, faltig, krumm und jeder trampelt auf mir rum.

Dann kommt ein riesengroßer Besen – und das ist’s dann schon gewesen.
Man steckt mich in den dunklen Sack, und schwupp – flieg‘ ich dann Huckepack
auf einen Haufen voller Schwung und werde letztlich nur noch Dung"

So trug der Wind ES, und im Traum sah ES den großen Lindenbaum,
der da "Am Brunnen vor dem Tore "schon hundert Jahre macht Furore.
Mit "kühlem Schatten" g i b t er an, den schließlich e r nur spenden kann,
wenn er zur schönsten Sommerzeit sich zeigt im grünen Blätterkleid

Da sind als Baumschmuck wir gefragt, bis uns der Herbstwind dann verjagt
Das Blatt, es taumelt her und hin, und e i n s kam ihm noch in den Sinn:
"Wär‘ ich doch bloß `ne Lindenblüte, dann läge ich in einer Tüte.
Ich warte auf den heißen Guss und ende dann als Tee – Genuß

Das Blatt . . . . . es endet auf der Wiese . . . .
Und fast allein . . . . . d ü n g t es jetzt diese

"Ursula Neuß"

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